Die 5. Etappe: Wettlauf gegen die Zeit

"Das geht raus an alle Spinner, wir sind die Gewinner", so lautet eine Textzeile aus dem Song "Spinner" von Revolverheld. Auch wenn das Lied nicht mehr topaktuell ist, habe ich es vor kurzen irgendwie neu entdeckt. Und bei der zweiten Begegnung mit diesem Song habe ich genauer hingehört, verstanden, was zwischen den Zeilen steht und festgestellt, dass sooo viel Wahrheit in diesem Song steckt.

 

Auch das hat der Marsch bewirkt, die Dinge anders zu betrachten, aufmerksamer hinzusehen, genauer hinzuhören und intensiver hineinzufühlen.  Warum schreibe ich euch das? Weil ich mich dazu bekenne, einer dieser "Spinner" zu sein, um die es in dem Song geht. Und die Tatsache, dass ihr immer noch dabei seid, zeigt mir, dass auch in euch ein "Spinner" steckt. Im positiven Sinne natürlich. Wenn ihr vielleicht mit dem Gedanken spielt, euch auch dem Mega-Marsch oder einer anderen großen Herausforderung zu stellen, dann hoffe ich, dass euch das bisher gelesene und das was noch kommen wird, darin bestärkt, es auch wirklich durchzuziehen.

 

Wer noch ein paar finale Eindrücke meines Mega-Marsches braucht und wissen will, wie das Ganze ausgegangen ist, sollte sich diesen Blogeintrag nicht entgehen lassen. Macht euch ein letztes Mal bereit, mit mir zusammen die Schuhe zu schnüren und den Rucksack aufzusetzen....es geht los. Die letzte Etappe "Wettlauf gegen die Zeit" kann beginnen...

 

Zur Erinnerung: Olli und ich befanden uns auf den letzten 2 Kilometern der 4. Etappe, als sich unsere Wasserreserven aufgrund der hohen Temperaturen schneller dem Ende geneigt hatten, als erwartet. Wirklich durstig machten wir uns auf, die letzten 2 Kilometer bis zur letzten Service-Station durchzuhalten, um uns dort mit frischem und hoffentlich kühlem Wasser zu versorgen. Ein letztes Mal würden wir einen unserer mittlerweile schon fast legendären Fußpflegetermine haben, ein letztes Mal würden wir uns mit Wasser, Riegeln und Obst eindecken, um dann gut versorgt in den letzten Abschnitt zu starten. Ein letztes Mal würden sich ein paar unserer Mitstreiter ihre Urkunde holen und sich nicht den Strapazen einer weiteren 20-km-Etappe aussetzen.  Auch wenn ich das schon einige Male geschrieben habe, in diesem Falle wiederhole ich mich sehr gern: Selbst die, die die 100 nicht geschafft haben verdienen meinen allergrößten Respekt. Denn ich weiß genau, wie sich 20, 40, 60 oder 80 Kilometer anfühlen. Jede Etappe ist eine Herausforderung für sich. Jede fordert einen auf ihre ganz spezielle Art und Weise. Daher ziehe ich nicht nur den Hut vor all meinen Mitstreitern in Hamburg, sondern möchte auch allen mutigen Menschen, die sich dieser Herausforderung in einer der anderen Städte gestellt haben oder noch stellen werden, Mut machen und in ihrem Vorhaben bestärken.

 

Lasst euch nicht beirren! Lasst die Leute ruhig abschätzend lächeln, wenn ihr erzählt, was ihr vorhabt. Denn meine Erfahrung ist, dass viele diese Herausforderung unterschätzen. Sätze wie "Achso, das ist nur gehen!" oder "Bei der Bundeswehr mussten wir auch mal 30 km marschieren, das kann man locker schaffen!" oder "Wandern ist doch was für alte Leute!"  waren während meiner Vorbereitung auf den Marsch keine Seltenheit. Sie sehen darin nur die körperliche Herausforderung - und das ist es auch! Aber es ist auch mehr als das: Es geht um mentale Stärke, es geht um euren Willen, es geht darum, wie weit ihr bereit seid aus eurer Komfortzone herauszutreten. Sollte es Menschen geben, die euch so einen Satz sagen, dann ladet sie doch herzlich ein, selbst daran teilzunehmen. Ihr glaubt gar nicht, wie schnell diese negativen Stimmen und Kommentare verstummen. Bei mir hat das ganz gut geholfen. Denn letztlich seid ihr Ihnen schon einen Schritt voraus, bevor ihr überhaupt losgegangen seid. Nochmals: Lasst euch nicht beirren! Glaubt mir, es lohnt sich, jeder einzelne verdammte Schritt ist ein Schritt aus eurer Komfortzone heraus, jeder Schritt ist ein Schritt, der euch nachhaltig prägen wird. Ich weiß es, weil ich es selbst erlebt habe. Selbst jetzt, fast 5 Monate nach dem Marsch profitiere ich noch von den Dingen, die ich während des Marsches über mich selbst gelernt und erfahren habe. Das ist unbezahlbar!

 

Aber nun wieder zurück zu unserem Abenteuer. Die 4. und letzte Versorgungsstation erreichten wir ebenso erschöpft wie euphorisch. Denn ich habe mir immer gesagt, wenn ich die 80 Kilometer geschafft habe, dann kann mich nichts mehr aufhalten - zumindest hoffte ich das. Aber 4 von 5 Etappen geschafft zu haben, war schon ein erhebendes Gefühl, was bei mir für einen kleinen Energieschub zur rechten Zeit sorgte. Das erste was wir orderten war....natürlich Wasser. Und dieses Mal versorgte ich mich aufgrund der heißen Temperaturen mit der doppelten Ration. Mir war in dem Moment egal, was mein Rücken zu dem zusätzlichen Marschgepäck sagen würde. Ich wusste, mein Kreislauf würde im Extremfall lauter schreien, als es mein Rücken je könnte. Aber es gab noch eine  ganz wichtige Sache, um die wir uns an dieser Servicestation kümmern mussten. Die Fahrkarten. Nein, keine Angst, wir sind den letzten Abschnitt nicht mit der Bahn gefahren. Aber die 5. Etappe hielt mit der Fährüberfahrt über die Elbe eine kleine Besonderheit bereit, die noch ein sehr, sehr wichtige Rolle im weiteren Verlauf des Marsches spielen sollte. Aber dazu zu einem späteren Zeitpunkt mehr. Mit frischem Wasser, ein wenig Obst und Riegeln im Gepäck und einer Bratwurst vom Grill in der Hand machten wir uns auf zur 5. und letzten Etappe unseres außergewöhnlichen Abenteuers. Unsere letzte Pause war gleichzeitig die kürzeste. Zum einen lag es daran, dass uns die vorherigen Stationen gelehrt haben, dass zu lange Pausen fatal sein können und es schwerer ist, wieder in Gang zu kommen. Zum anderen drängte tatsächlich ein wenig die Zeit. Auch wenn die Veranstalter aufgrund der etwas zeitraubenden Fährüberfahrt eine Kulanz-Stunde gewährten, wussten wir, dass das eine ganz enge Nummer werden würde, wenn wir es tatsächlich noch innerhalb der 24 Stunden schaffen wollten. Entsprechend zogen wir das Tempo an. Was die Staubwolke die wir aufgrund des trockenen Sandbodens hinter uns herzogen auch noch einmal optisch unterstrich.

 

Es muss ungefähr bei Kilometer 82 gewesen sein, als ich ein kleines Fach meines Rucksackes öffnete und mir ein "Blinder Passagier" in die Hände fiel, der mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Und glaubt mir, nach 82 Kilometern gab es nicht mehr allzu viele Dinge, die das bewerkstelligen konnten. Die körperliche Anstrengung und die mentale Anspannung, es unbedingt schaffen zu wollen  in Verbindung mit dem Schlafentzug entpuppten sich als wahre "Spaßbremsen". Also, nicht, dass wir nun gar nicht mehr lachten, aber es fiel schon etwas schwerer und man war schon leichter reizbar. Die Sinne waren geschärft. "Ist doch prima!", wird sich jetzt der ein oder andere sagen. Aber glaubt mir, wenn der Tastsinn so geschärft ist, dass sich jedes noch so kleine Steinchen durch die Schuhsohle drückt - ja geradezu durch sie hindurchbohrt, euer Hörsinn so geschärft ist, dass ihr die vermeintlich witzige Bemerkung eines Wanderers zum 20. Mal innerhalb von 10 Minuten hört und es schon beim ersten Mal nicht lustig fandet oder eure übermüdeten Augen sich vergeblich durch festes Zusammenkneifen versuchten vor der gleißenden Sonne zu schützen, dann würdet ihr euch wünschen, eure Sinne wären alles andere als scharf! Aber zurück zu meinem "Blinden Passagier". Da hatte sich doch tatsächlich wieder eines dieser Mini-Snickers in mein Marschgepäck geschlichen. Noch nie zuvor hat ein Schokoriegel so derartige Glücksgefühle in mir ausgelöst wie dieser. Ein Schokoriegel mit einer Geschichte dahinter. Treue Blogleser werden wissen, dass mich diese kleinen Dinger in meiner Vorbereitung immer wieder begleitet haben. Unweigerlich kam  mir der Werbeslogan "Wenn´s mal wieder etwas länger dauert!" in den Sinn und sorgte für ein weiteres Lächeln. Das tat in vielerlei Hinsicht sehr gut. Mit 18 Kilometern vor der Brust genoss ich dieses kleine, süße Ding, welches eine willkommene Abwechslung zu den gesunden Riegeln und Bananen war. Es tat verdammt gut! Nach 82 Kilometern sind es schon die kleinen Dinge, die man dann sehr zu schätzen weiß und die ungeahnte Energien freisetzen können. Es ist manchmal nur ein Lied, ein Duft, ein Bild oder ein Wort, was so viel in uns auslösen kann...

 

Olli und ich gingen so schnell, wie es unsere geschundenen Füße noch zuließen. Denn eines wurde uns immer bewusster: Es wird eine wirklich enge Kiste. Laut GPS-Route wartete in etwa 11 Kilometern die Fährüberfahrt auf uns. Insgeheim hoffte ich, dass wir zum richtigen Zeitpunkt dort eintreffen würden und direkt eine Fähre für die Überfahrt erwischen würden. Aber dazwischen lagen noch 11 staubige, anstrengende und nervenaufreibende Kilometer. Das war eine Phase, in der ich meine Familie und Freunde sehr vermisste und endlich wieder bei Ihnen sein wollte. Daher kam das Telefonat mit meiner Tochter Hannah genau zur rechten Zeit. Ich genoss es, Ihre Stimme zu hören und zu wissen, dass Zuhause alles in Ordnung war. Gleichzeitig sehnte ich mich nach einer heißen Dusche, meinen Liebsten und unserem schönen Zuhause, mit dem bequemen Sofa, auf dem man einfach mal schön die Füße hochlegen könnte. Was für ein schöner Gedanke. Dieser war aber noch 17 Kilometer plus die Heimreise von Hamburg nach Osterrönfeld entfernt. Und ich dachte mir, wenn es soweit ist, würde ich das Sofa eh gegen das Bett eintauschen. Aber zurück zur Realität. Noch war das Ziel nicht erreicht. Gute 17 Kilometer – immerhin weniger als meine übliche Trainingsstrecke – lagen nun noch vor uns. Olli kämpfte weiter gegen seine schmerzenden Füße an. Und ich dachte so bei mir, dass er wahrscheinlich noch viel lieber seine Füße hochgelegt hätte als ich. Aber die Tatsache, dass wir uns auf der nunmehr letzten Etappe befanden, sorgte bei mir nach dem Snickers und dem Telefonat mit meiner Tochter für zusätzliche Motivation. Was weniger motivierend war, war der Streckenabschnitt. Keine Ahnung, ob man dem Abschnitt nun ungerecht wird, aber er wirkte einfach langweilig und langgezogen. Je näher wir dem Ziel kamen, desto mehr hatten wir das Gefühl, dass sich die Kilometer zogen wie Kaugummi. Die Zeit hingegen, rannte, als wäre sie auf der Flucht.

 

Die bevorstehende Fährüberfahrt hatte auch etwas Gutes. In gewisser Weise sorgte sie für eine kleine Zwischen-Etappe auf die man hinarbeiten konnte. Aber ähnlich wie die Servicestation nach der 2. Etappe, ließ auch der Fähranleger eine halbe Ewigkeit auf sich warten. Als wir die dann ersten Fähren entdeckten, wähnten wir uns bereits am langersehnten Zwischenstopp. Aber weit gefehlt. Es sollte noch weiter drei quälende Kilometer und ein paar Diskussionen in unserer kleinen Gruppe über die korrekte Route dauern. Endlich am langersehnte Ziel angekommen, zerplatzte meine Hoffnung, zum richtigen Zeitpunkt hier einzutreffen wie eine Seifenblase, als uns die Fähre quasi direkt vor der Nase wegfuhr. Nett formuliert sorgte das für ein wenig Unmut in unserem kleinen Grüppchen, dem Olli und ich uns im Verlauf des letzten Abschnittes angeschlossen hatten. Schließlich mussten wir nun geschlagene 45 Minuten warten, bis wir die Elbe überqueren konnten, um uns den letzten sieben Kilometern zu stellen. Die 5. Etappe hatte bis hierhin nicht nur ordentlich an den Kräften, sondern noch vielmehr an den Nerven gezerrt. Olli machten die Schmerzen zunehmend zu schaffen. Dennoch war ich geschockt, als ich ihn sagen hörte. "Für mich ist hier jetzt Schluss! Ich kann nicht mehr! Das geht einfach nicht mehr mit meinen Füßen!" Das konnte, nein - das durfte nicht sein! Ich sagte Olli, dass wir das Ding hier zusammen bis zum Ende durchziehen. Die Antwort, die ich dann erhielt, traf mich fast noch mehr als die Tatsache, dass er so kurz vorm Ziel aufgeben wollte. "Ich weiß, wo meine Grenzen sind! Ich brauche niemanden, der mir sagt, dass sie dort nicht sind!" BAAM!!! Das saß! Daraufhin sagte ich nur, dass er selbst wissen müsse, ob er wirklich sieben Kilometer vor dem Ziel aufgeben will. Ich dies aber sehr bedauern würde. Ich bat ihn darum, sich das bis zur Überfahrt auf die andere Seite noch einmal zu überlegen. Die Hoffnung, dass er es sich doch noch einmal anders überlegen würde, schwand, als ich hörte, wie er bei den mitreisenden Johannitern, danach fragte, welche alternativen Verkehrsmittel es auf der anderen Seite gäbe, mit denen man die restliche Strecke bis zum Ziel zurücklegen könnte. Denn laufen würde er nach der Fährüberfahrt keinen Schritt mehr. So traurig mich der Gedanke auch machte, meinen letzten Weggefährten zu verlieren, stand für mich fest, dass mich wenige Kilometer vor dem Ziel nichts und niemand mehr aufhalten würde. Aufgeben war für mich von der ersten Minute an keine Option. Zu oft habe ich mir in den letzten 22 Stunden vorgestellt, wie es wohl sein wird, die Ziellinie zu überschreiten. Zu oft an meine beiden "Warum´ s" gedacht. Zu oft jedem, der mich fragte wie viel Kilometer ich schaffen will, selbstbewusst und voller Gewissheit "100" geantwortet habe. Zu oft, an die Kids und Familien gedacht, den der Erlös meiner Aktion zu Gute kommen sollte. Nein, aufgeben war zu keinem Zeitpunkt eine Option für mich. Schon gar nicht, zu einem Zeitpunkt an dem das Ziel zum Greifen nah war.

 

Es war echt ein demotivierender Gedanke, Olli womöglich auf den letzten "Metern" noch zu verlieren. Aber ich durfte mich nicht runterziehen lassen. Ich musste fokussiert bleiben. Und letztlich hoffte ich auch noch darauf, dass mein Weggefährte die Wartezeit auf die Fähre und die Überfahrt dafür nutzen würde, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Momentan sahen die Vorzeichen allerdings nicht danach aus. Denn Olli hatte nun die Busnummer erfragt, die ihn von der anderen Seite aus zum Ziel bringen würde. "Linie 9", bestätigte ihm der freundliche Johanniter, der vor wenigen Minuten noch das Gesicht mitleidig verzog, als er Olli´ s Füße ein weiteres Mal in Augenschein nahm. Er war wirklich nett und freundlich, aber für Sätze wie "Ja, man muss halt auch wissen, wann Schluss ist" und "Drüben erwarten euch noch ein paar Steigungen", die er Olli noch mit auf den Weg gab, wäre ich ihm im übertragenden Sinne am liebsten an die Gurgel gesprungen. Obwohl ich natürlich wusste, dass er es einfach nur gut meinte.

 

Es dauerte tatsächlich geschlagene 45 Minuten, bis die Fähre wieder in Sichtweite kam. Das bedeutete eine Zwangs-Pause von fast 50 Minuten - die längste Pause des gesamten Marsches und dazu noch eine ungewollte. Aber nun sollten wir schon bald antreten zum allerletzten Abschnitt. Vor uns lagen lächerliche SIEBEN Kilometer. Die Strecke war nun nicht mehr unser größter Gegner. Das war ein anderer und der nannte sich ZEIT. Je weniger Kilometer noch vor uns lagen, desto deutlicher wurde uns vor Augen geführt, wie knapp es werden würde, die 100 Kilometer tatsächlich innerhalb der 24 Stunden zu packen. Und hier kam die kleine Gruppe ins Spiel, der wir uns im Verlauf der letzten Etappe angeschlossen hatten. Bis zur Fähre haben uns die Jungs mit ihrem Elan und ihrer guten Laune wirklich gut mitgezogen. Während der Fährüberfahrt sprach ich mit den anderen darüber, das Tempo noch etwas anzuziehen um wieder etwas Zeit aufzuholen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mit meinen Gedanken mehr bei Olli war, als beim Wettlauf gegen die Zeit. Seit unserem kleinen Disput hatten wir nicht besonders viel miteinander geredet. Ich wollte ihm den Raum lassen, eine freie Entscheidung zu treffen und ihn nicht zu irgendetwas überreden. Das hätte wenig Sinn gemacht. Die Fährüberfahrt dauerte keine fünf Minuten. So sehr es mich auch ärgerte, dass wir sie zuvor knapp verpasst hatten, genoss ich nun die Frische Brise, die für ein wenig Abkühlung sorgte. Und im Stillen hoffte ich, dass der kühle Wind auch Olli` s Gemüt etwas abkühlen würde. Für etwas Klarheit sorgt und er sich wieder auf den Ursprung des Ganzen besinnt. Wir sind hier angetreten um das Ding zu rocken und zwar GEMEINSAM!!! Ich hoffte - nein ich wusste, dass Olli es sich nicht nehmen lassen würde, das Ding hier mit Würde und Anstand zu Ende zu bringen. "Mein" Olli, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht, andere Menschen zu motivieren und zu Höchstleistungen "anzupeitschen". Denn wir wollen mal nicht vergessen, wer mir die die "Suppe eingebrockt hat" - das meine ich natürlich im positiven Sinne. Olli, wenn du das jetzt hier gerade liest, dann möchte ich dir noch einmal für diese irrsinnige Idee danken. Dir dafür danken, dass du mich zu diesen Wahnsinnstrip angemeldet hast und es mir somit ermöglicht hast ganz viele tolle Erfahrungen zu sammeln und interessanten Menschen zu begegnen. Ich möchte dir für deine Hilfsbereitschaft danken - ich weiß, wenn ich mitten in der Nacht Hilfe bräuchte, könnte ich dich anrufen. Du würdest mir keine Fragen stellen...höchsten, wo du mich abholen sollst. Und ich danke dir dafür, dass du, nachdem wir die Fähre verlassen haben und an der Reihe von Bussen, die dort standen, vorbeigegangen bist. Auch die Linie 9 stand dort mit noch offenen Türen. Ich habe gesehen, wie du hinübergesehen hast. Wir tauschten einen kurzen Blick miteinander und ich hoffe, du hast in diesem Blick meine Entschlossenheit gesehen. Hast darin gesehen, dass ich mich nicht davon abbringen lasse das Ding bis zum Ende durchzuziehen. Es war dieser Blick, den wir miteinander austauschten, der mehr sagte, als 1.000 Worte. In einer guten Freundschaft bedarf es manchmal gar nicht vieler Worte, um sich zu verstehen. Danke, dass du an meiner Seite bliebst, danke, dass du es bis heute bist. Danke für deine Freundschaft!

 

Ich hab es nun vorweg genommen. Olli entschied sich gegen die "Linie 9" und für ein würdiges Finale unserer kleinen Geschichte. Sieben Kilometer trennten uns nun noch von dem Moment, den ich so oft im Training und im Vorfeld der ganzen Aktion immer wieder für mich visualisiert habe, der Moment, in dem ich die Ziellinie voller Emotionen überschreiten werde. Sieben Kilometer klingt nicht viel, wenn man ausblendet, dass wir nicht schon 93 in den Beinen oder vielmehr in den Füßen hatten. Aber ich war euphorisiert. Zum einen, weil das Ziel jetzt tatsächlich in greifbarer Nähe war und zum anderen weil ich echt froh darüber war, dass Olli doch noch einmal darüber nachgedacht hat, dass nur sein Wille seine Grenze ist. Wir liefen beide auf dem Zahnfleisch, aber wir taten dies höchst motiviert und das ist, worauf es ankommt. Grenzen überschreiten, da weitermachen, wo andere aufgeben. Über sein Limit hinausgehen, um das kostbare Geschenk neuer und toller Erfahrungen zu erhalten.

 

Nur noch fünf Kilometer, das entspricht meiner kleinen Hausrunde beim Joggen. Machbar. Allerdings sollte der nette Johanniter-Mitarbeiter recht behalten: Die letzten Kilometer hatten tatsächlich einiges an Steigungen zu bieten. Uns wurde wirklich noch einmal alles abverlangt. Schlafentzug. Hitze. Schmerzen. ZEITDRUCK. Immer wieder schaute ich auf die Uhr und stellte Hochrechnungen an (Ja, ich weiß, über die "Hochrechner" habe ich mich in einem meiner vorangegangenen Artikel noch lustig gemacht - nun war ich selbst einer). Aber schließlich habe ich die ganzen Strapazen ja nicht auf mich genommen, um am Ende ein paar Minuten zu spät über die Ziellinie zu kommen. Wer mich kennt, weiß, dass ich im "echten Leben" gerne mal zu spät komme. Aber dieses eine Mal wollte - nein  MUSSTE ich - pünktlich sein. Wir verschärften nochmals das Tempo. Auf den letzten drei Kilometern hatten wir dann noch eine dieser Situation, in der wir nicht genau wussten, wo wir lang mussten, abwägten, welcher wohl der richtige bzw. optimalere Weg war. Diese Situationen konnten einen mit zunehmender Marschlänge echt mürbe machen. Jetzt durfte uns einfach kein Fehler mehr unterlaufen. Eine falsche Entscheidung treffen, um dann in die falsche Richtung zu laufen, würde bedeuten, dass wir die 100 Kilometer nicht innerhalb der 24 Stunden schaffen würde. Diese Tatsache erhöhte nochmals den emotionalen Druck. Aber dann sahen wir es - das Volksparkstadion! In unmittelbarer Nähe des Stadions befand sich der Start- und Zielbereich. Wir hatten es fast geschafft. Und auch von der Zeit her, waren wir im Soll, knapp, aber im Soll.

 

Etwa zwei Kilometer vor dem Ziel bekam ich das erste - aber längst nicht das letzte Mal eine Gänsehaut, als ich im Gedanken schon durchspielte, wie es sich wohl gleich anfühlen würde, diesen letzten Schritt über die Ziellinie zu machen. Zu realisieren, dass man es tatsächlich geschafft hatte. Tatsächlich diese irre Herausforderung gepackt hat. Aber dazwischen lagen nun noch 1500 Meter. Nochmal hoch konzentriert sein, keinen Leichtsinnsfehler machen, keine Baumwurzel übersehen. Ja, es ist verrückt sich 1,5 Kilometer vorm Ziel solche Gedanken zu machen, nachdem man über 98 Kilometer nahezu unbeschadet überstanden hatte. Aber man macht sich diese Gedanken aus Angst, so kurz vorm Ziel noch zu scheitern. Dann wäre die ganze Schinderei umsonst gewesen.

 

Noch 1 Kilometer. Kreidepfeile auf dem Boden deuteten uns nicht nur den richtigen Weg, sondern waren auch ein Indiz dafür, dass wir nun ganz nah am Ziel waren. Dann betraten wir das Start-Areal und konnten den mit Beachflags markierten Zieleinlauf aus der Ferne sehen. Ich kann euch dieses Gefühl kaum beschreiben. Und es war nur durch das Gefühl zu toppen, welches ich nur ein bis zwei Minuten später erleben würde. Ich ließ mich etwas zurückfallen, bis ich auf Olli´s Höhe war, der die letzten Kilometer einfach nur noch gebissen hat. Respekt mein Lieber! Ich ließ mich fallen, weil ich unbedingt mit ihm gemeinsam die Ziellinie überschreiten wollte. Denn die 100 Kilometer haben uns noch mehr zusammengeschweißt. Die Erinnerungen an dieses Abenteuer werden uns noch sehr, sehr lange begleiten. Und dann erlebten wir gemeinsam diesen ganz besonderen Moment. Diesen Moment, den man sich so oft VERSUCHT hat vorzustellen. Aber selbst die intensivste Vorstellung kam nicht an das heran, was ich in diesem Moment fühlte. Ein Feuerwerk der Emotionen durchströmte meinen Körper. Wir war zum Lachen, zum Weinen und zum Schreien zumute und zwar gleichzeitig. Eine kleine Momentaufnahme des Zieleinlaufs findet ihr hier: https://www.facebook.com/MoveForKids.byDennisDolecki/videos/1334876163258767/

 

Ich hatte mein Wort gehalten. Ich haben allen Unterstützern und allen die an mich glaubten, versprochen, alles zu geben. Und ich glaub ich gab sogar noch ein bisschen mehr als "alles". Und ja, ich war stolz. Stolz auf alle, die diese Aktion so toll unterstützt haben. Stolz auf die vielen Spender, die mir vertraut und an mich geglaubt haben. Stolz auf Olli, der sich trotz akuter Schmerzen durchgebissen hat und nicht von meiner Seite wich. Und ja - ich war auch stolz auf mich! Stolz auf 4.200 Euro, die dank meiner Idee zu "Move For Kids" zusammengekommen sind. Stolz auf meine mentale Stärke. Stolz darauf, dass mein nicht mehr ganz so junger & dynamischer Körper, diesen Irrsinn ohne großes Gemecker durchgehalten hat. Wenn ich eines bei diesem Marsch gelernt habe, dann, dass man auch ruhig auch mal stolz auf sich sein darf, ja sogar sollte! Und es ist erlaubt, es dann auch laut auszusprechen...

 

Ich habe es geschafft: 100 Kilometer. Das sind 100.000 Meter und entspricht etwa 132.019 Schritte. Absolviert in 23 Stunden und 50 Minuten. Insgesamt 39 Stunden ohne Schlaf. 920 Menschen stellten sich dem Mega Marsch in Hamburg. Das Ziel erreichten am Ende 163. Ich war einer von Ihnen. Mein Körper - nachdem das Adrenalin verflogen war - ein einziger Schmerz. Ich war platt aber eben auch mega glücklich. Insgesamt kam eine Spendensumme von 4.200 Euro zusammen, die ich dem Kinder- und Jugendhospiz in Rendsburg vor wenigen Wochen überreichen konnte. Die Freude der Mitarbeiter über die Spende war so echt und so herzlich. Unbezahlbar diese Dankbarkeit! Und in diesem Moment wusste ich, dass sich jeder einzelne dieser 132.019 Schritte verdammt nochmal gelohnt hat. All die Zeit für die Vorbereitung, die Energie für den Aufbau der eigenen Spendenplattform, die vielen Trainingseinheiten und sogar die Schmerzen haben sich gelohnt. Weil all das etwas bewegt hat. Weil wir alle zusammen, eine kleine Delle ins Universum gehauen haben. Und dafür möchte ich euch allen danken. Nicht nur denen, die direkt etwas gespendet haben. Sondern auch denen, die mich durch ihre Inspiration, Motivation und Emotion so unheimlich stark gemacht haben. So stark, dass ich die 100 Kilometer innerhalb der 24 Stunden gerockt habe. Ein weiteren Dank, möchte ich an meine kleine, aber feine Leserschaft richten. Danke, dass ihr die 100 Kilometer noch einmal mit mir erlebt habt. Es war mir eine Ehre, euch noch einmal mitzunehmen auf dieses besondere Abenteuer. Mich haben die Erlebnisse rund um dieses Abenteuer nachhaltig geprägt. Ich würde mir wünschen, dass ich durch das Geschriebene, den ein oder anderen von euch erreichen konnte. Ich euch den ein oder anderen Denkanstoß geben konnte. Euch zum Lächeln bringen konnte oder euch emotional berühren konnte. Und selbst wenn es mir bei nur einem einzigen  Menschen gelungen sein sollte eine positive Veränderung zu bewirken, dann hat sich jede einzelne Silbe gelohnt! Ich danke euch, dass ihr noch einmal mit mir gemeinsam über die Ziellinie gegangen seid und ich das Ganze noch einmal gemeinsam mit euch erleben durfte. DANKE!

 

Nachtrag: Wer mich kennt, weiß, dass hier nicht Schluss sein kann, nicht Schluss sein DARF. Daher wird es noch einen allerletzten Blogartikel zu diesem ganz besonderen Abenteuer geben. Darin erfahrt ihr, was sich nach dem Zieleinlauf noch so alles abspielte. Außerdem werde ich euch erzählen, warum unsere Heimfahrt zu einer wahren Odyssee wurde. Darüber hinaus, werde  ich euch verraten, warum ich am nächsten Morgen schon um 8 Uhr aufstehen musste, obwohl ich noch frei hatte und wie Olli und ich auf die Schnappsidee kamen, direkt am Tag nach dem Marsch eine kleine 20-Kilometer-Radtour zu machen und wie sie uns bekommen ist.

 

Außerdem lüfte ich in diesem Artikel das Geheimnis von Move For Kids 2.0 und werde euch verraten, welche Herausforderung mich als nächstes erwarten wird. Und auch für die etwas "Lesefaulen" unter euch habe ich dann etwas im Gepäck. Was das sein wird, erfahrt ihr dann. Also bleibt dran - es lohnt sich und das in vielerlei Hinsicht. Bis dahin gönnt euren Füßen und Augen ein wenig Erholung. Das haben sich Füße und Augen nach diesen intensiven 100 Blog-Kilometern mehr als verdient! Wir lesen uns. Bis dahin, passt gut auf euch auf!

 

Liebe Grüße

Euer Dennis

 

 

 

 


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Kommentare: 3
  • #1

    Robin (Freitag, 01 September 2017 13:04)

    Vielen Dank für die letzte Etappe - habe sehnsüchtig darauf gewartet, wie Du dieses Gefühl beschreiben wirst!
    Danke auch für die vielen Impressionen, die mich definitiv motivieren, Mitte Oktober den MM in Frankfurt (hoffentlich auch erfolgreich) durchzustehen!
    Viele Grüße aus Frankfurt!

  • #2

    jan commentz (Freitag, 01 September 2017 18:55)

    danke dennis, nach 5 monaten hast du mich wieder auf meine 60 km zurueck geholt ... war einfach irre der trip. tolle leistung, tolle idee und tolles durchbeissen von dir.

    danke aus hamburg von dem dir am start noch unbekannten Spender.

    vg

    jan

  • #3

    Anja und Karsten (Mittwoch, 06 September 2017 21:31)

    Vielen Dank für Wettlauf mit der Zeit. Hammer einfach nur hammer.
    Nein,es Darf hier wirklich nicht aufhören und wir sind sehr gespannt auf den nächsten Artikel und die Enthüllungen!
    Bis bald und schöne grüße in den Norden